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Endspurt

Ich war noch nie ein Ordnungsgenie aber Sauberkeit mag ich schon. Gestern habe ich beim Putzen wieder mal Vollgas gegeben. Es hatte sich Besuch angekündigt und beim Anblick unserer Wohnung wurde mir bei der Vorstellung so Gäste zu empfangen, fast etwas übel. In den letzten Wochen war putzen und aufräumen einfach nicht so weit oben auf der Prioritätenliste.

 

Gestern habe ich das also nachgeholt. Beim Staubsaugen ist mir dann aufgefallen, dass ich eigentlich den Balkon schon lange nicht mehr geputzt habe. Das waren noch Zeiten, als ich sogar vor der Haustür nass aufgewischt habe. Das waren Zeiten bevor ich Kinder hatte. Anfangs hatte ich versucht den Standard hoch zu halten. In den ersten Monaten mit unserem ältesten habe ich mir jeden Tag ein Zimmer vorgenommen. Jeden Tag eines aufräumen und putzen. Zu mehr reichte meine Energie nicht. Noch heute habe ich den Impuls mich dafür entschuldigen zu wollen, obwohl es noch viel besser war als das, was später kam. Damals als unser älterer anfing zu krabbeln wischte ich den Boden mindestens jeden zweiten Tag nass auf. Als das zweite Kind auf der Welt war wurde ich etwas lockerer.

 

Mittlerweile stört es mich nicht mal mehr gross, wenn die Jungs keine Socken mehr haben im Schrank. Dann holen wir die halt direkt aus dem Wäschekorb mit der sauberen Wäsche. Meine Prioritäten haben sich verändert. Mir ist es wichtig, dass wir alle gesund sind und recht ernährt sind und dass Haus und Hof sowie die Schule funktionieren. Momentan geniesse ich es auch sehr kreativ tätig zu sein. Am liebsten mit der ganzen Familie. Das ist mir in dem Moment wichtiger als eine blitzsaubere Wohnung. Sauberkeit ist mir nach wie vor wichtig aber meine Toleranzgrenze hat sich etwas verschoben.

 

Bis gestern. Ich habe so viel nachgeholt, was ich in den letzten Wochen habe schleifen lassen. Sogar, als der Besuch weg war habe ich den Lappen wieder in die Hände genommen. In letzter Zeit hatte ich mir viel vorgenommen und der grosse Putztag hat mir auch nicht gerade gutgetan. In solchen Phasen spiegelt mir meine Psoriasis gnadenlos, dass ich mich übernommen habe. Mir fehlt dabei wohl das gesunde Mittelmass. So sitze ich jetzt da und spüre meine pochende, blutende Fusssohle und kann beim Betrachten meiner zu dreiviertel vorzeigbaren Wohnung die Schmerzen weglächeln. Es war schon schlimmer und das war mir jetzt wichtig. Weihnachten kann kommen. Bald kommen Ferien und ich kann wieder etwas regenerieren.

 

Es gibt im Leben immer wieder schwierigere Zeiten, die einen emotional, körperlich, psychisch, existenziell herausfordern und an Grenzen bringen. Manchmal ziehen sich diese Phasen in die Länge und man glaubt es werde nie wieder anders. Es wird aber wieder anders. Irgendwie, irgendwann. Ich glaube daran. Vielleicht bin ich von der grossen Filmfabrik in Übersee geprägt. Ich halte an Happy Ends fest. Oder wenigstens an der Möglichkeit, dass das Leben sich ändern kann. Irgendwann wird es möglich sein zu lachen, zu tanzen zu tun, wozu man Lust hat. Oder in meinem Fall wird es hoffentlich möglich sein mit etwas weniger Aufwand einen annehmbaren Stand an Ordnung in der Wohnung zu geniessen.