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Familiensache

Diese Woche waren wieder Amerikaner hier. Es kommen immer wieder Familien vorbei um sich das Haus unserer Nachbarn anzusehen. Es sei das Haus ihrer Vorfahren, der Familie Schenk. Dieses Haus ist aber auch das Haus der Vorfahren meines Mannes, der Familie Keller. Manchmal kommen wir mit den Fremden auf Spurensuche ins Gespräch und dann taucht auch immer die Frage auf, ob es vielleicht sein könnte, dass wir verwandt sind.

 

Ich weiss es nicht. Bis heute konnten wir die Frage nicht klären. Wobei, hier im Emmental sind ja eigentlich fast alle irgendwie verwandt miteinander. Spätestens Cousin dritten Grades ist man mit fast allen. Da mache ich keine Ausnahme, auch mein Urgrossvater war Emmentaler, so bin ich wohl mit vielen Leuten hier verwandt ohne es zu wissen. Irgendwie würde es mich ja auch reizen dem mal ein bisschen nach zu gehen. Die Reisenden aus den USA scheinen immer so glücklich zu sein endlich das Haus ihrer Vorväter zu sehen. Wenn es das denn ist…

 

Ich weiss noch, wie ich in Österreich meinen Wurzeln nachging. Eigentlich wollte ich vor allem einmal das Dorf meiner Urgrossmutter sehen, da ich nicht damit rechnete noch irgendetwas anderes zu finden. Wider Erwarten war es dann aber doch sehr viel leichter und binnen zwei Stunden sassen wir bereits mit Verwandten an einem Tisch und betrachteten Stammbäume. Das war schon irgendwie irre und wunderschön und spannend die Familiengeschichten aus einer anderen Perspektive erzählt zu bekommen. Ich kann das Strahlen der Amerikaner nur zu gut verstehen.

 

An einem heissen Tag im Sommer kam ein Paar vorbei. Zu Fuss sind sie hochgekommen und hatten keine Wasserfalschen dabei. Weil wir ohnehin gerade Zeit hatten luden wir sie zu einem Glas Holunderblütensirup ein. Und da war wieder die Frage: Sind wir eventuell verwandt? Wir holten den Stammbaum in der Papierrolle und die Amerikaner zückten ihr Mobiltelefon, wo alle Daten ihrer Familie inklusive Bilder auf einer App einsehbar waren. Da waren sie die Schenks, die Rammseiers, die Gerbers und die Lochers.

 

Da fiel mir das Brett ein, dass wir bei der Quellsanierung vor ein Paar Jahren fanden. Es war am Ende eines Quelltunnells. Die Archäologen meinten, es sei im 18. Jahrhundert recht üblich gewesen solche Stollen in den Stein zu hauen um noch mehr und saubereres Wasser zu suchen. Unser Stollen war für sie aber uninteressant, da sie bei der Öffnung nicht dabei gewesen wären und wir wohl schon zu viel verändert haben könnten. In der damaligen Zeit waren Bretter kostbar. Wieso also sollte man dieses Brett einfach an der Rückwand des Stollens stehen lassen und dann den Stollen mit einer Tür verschliessen und zuschütten? Der angegebene Zeitraum stimmt mit den Daten überein, die wir über die Grundsteinlegungen unserer Siedlung haben. Es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass wir oder eben auch die Schenks mit dem Erbauer des Stollens verwandt sind. Was dem Brett, welches wir jetzt bei uns haben, irgendwie etwas besonders gibt.

 

Shane, der Amerikaner, und ich standen vor dem Brett und er fragte, ob es vielleicht möglich wäre, dass auf diesem Brett einmal etwas geschrieben war, das heute nicht mehr lesbar sei. Ich wusste es nicht. Während wir weiter das Brett betrachteten meinte er plötzlich mit einem Schalk in den Augen: «Vielleicht schauen unsere Vorfahren uns in diesem Moment zu und halten sich die Bäuche vor Lachen, weil ihr Plan mit dem Brett aufgegangen ist. Vielleicht haben sie dieses Brett aus Jux dort deponiert einfach nur um künftige Generationen zu verwirren.»

 

Wahrscheinlich ist es oft so, dass wir versuchen einen Sinn hinter etwas zu entdecken, das vielleicht gar keinen Sinn hat. Vielleicht werden wir es irgendwann herausfinden. Und da die Familie Schenk damals wohl mit acht Kindern ausgewandert ist, könnten noch einige kommen um genau dieses Haus zu suchen, in welchem ihr Urgrossvater oder ihre Ururgrossmutter geboren wurde. Vielleicht werden wir ja auch irgendwann wissen ob wir mit den Schenks verwandt sind oder nicht.