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Landkinder

Ich bin, wie gesagt, ein Landkind, wobei Agglokind es vielleicht besser treffen würde. Als ich klein war, war der Ort aus dem ich komme ein richtiges Dorf auf dem Land. Jeder kannte jeden, jeder wusste alles von jedem und jeder wusste wem was gehört. Während meiner Schulzeit begann sich das Dorf zu verändern. Grosse Siedlungen wurden aus dem Boden gestampft. Wohnraum für unzählige Familien. Diese Überbauungen bekamen dann Namen, die heute wohl keiner mehr kennt. Meine Schulgspändli wohnten dann in der PTT-Siedlung oder in den Kaninchenställen. Das Dorf wuchs und wuchs und wurde langsam eben Teil der Agglomeration Zürich. Trotzdem würde ich mich als Landkind bezeichnen.

 

Was macht denn ein Landkind für mich aus? Ich war ein offenes Kind, das sich wohlfühlte im Dorf, das auch die älteren Menschen kannte und grüsste und das bedenkenlos alleine zum Gärtner ging um ein Blümchen für Mami zu kaufen. Und sonntags, wenn der Gärtner mit seinem Heissluftballon über Land flog, dann kannten wir den Ballon und winkten ihm von unten zu. Ich habe ja schon einmal berichtet von Düften, Geräuschen und Bildern, die Erinnerungen hervorrufen können. Gerüche von warmem Teer, Bahnschwellen und Krumen rufen in mir Erinnerungen auf. Feldblumen, Holzwolle und diese 5/6 langen graublauen Mäntel tun das auch. Ich und meine Brüder waren bewegungsfrohe, kreative, offene Kinder. Wenn ich heute meine eigenen Kinder sehe, erinnert mich Vieles an meine Kindheit.

 

Zum Beispiel diese Phase in welcher wir uns überall auf dem Hof ein verstecktes Haus einrichten wollten. Oder einfach durch den grössten Staub und die Spinnweben krochen um ein Abenteuer zu erleben und an einem Ort zu sein, an welchem offensichtlich schon länger keiner war. Dabei kannten wir Regeln, wie zum Beispiel kein Feuer machen, nirgends! Oder keine Nägel in die Nähe des Tierfutters bringen! Oder auf den Dachplatten nur da gehen, wo auch Schrauben sind, denn da ist Holz drunter falls eine der Eternitplatten brechen würde.

 

Unsere Kinder sind bis jetzt noch nicht auf Dächer geklettert. Gott sei Dank. Aber kleine Häuser haben sie schon länger, immer wieder, überall. Ich weiss erst jetzt wieviel Geduld und Nerven unsere Eltern damals wohl haben mussten, als sie uns gewähren liessen. Manchmal schreite ich bei meinen Kindern ein. Ich finde zum Beispiel die Ecke hinter dem Heugebläse, wo wir unsere Gartengeräte aufhängen, nicht ideal für eine geheime Wohnung. An anderen Orten drücke ich einfach beide Augen zu.

 

Vor kurzem war ich mit den Kindern unterwegs zu meinen Eltern. Meine Jungs gingen mit freudigem Blick durch die Strassen und grüssten jeden, der ihnen entgegen kam. Sie machten dem Radfahrer Komplimente für sein schönes Velo und erzählten der Frau auf der Bank, dass wir eben mal wieder zu den Grosseltern fahren. Das hatten sie zuvor an der Tankstelle schon dem Milchtanklastwagenfahrer erzählt und ich fühlte mich dabei so richtig an meine eigene Kindheit erinnert, insbesondere an den Tag, als mir ein Klassenkamerad aus Zürich erklärte, dass man im Fall nicht alle Leute grüsse und auch nicht Danke winke, wenn ein Auto vor dem Fussgängerstreifen halte, weil man sonst vielleicht für nicht ganz normal gehalten werde.

 

Ich bin mit meinen Jungs wieder ins Auto gestiegen und weiter gefahren und habe unterwegs andere Kinder gesehen: Den kleinen Jungen, der gerade gelernt hat zu gehen und bereits Gangsterklamotten trägt oder die Jungs, die ihr riesen Meerschweinchen an der Leine spazieren führten während sie auf ihr Mobiltelefon glotzten. Ich bin froh, dass meine Jungs genauso nicht ganz normal sind wie ich es war und sie so richtige Landkinder sind, die wissen welcher Bauer welchen Traktor fährt und wieviel Volumen ungefähr in eine Zange des Heukranes passt.