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Pitbull mit Lippenstift

Wenn aus einer Gruppe von Kindern eines «Papi» ruft und gleich drei Männer «Hier» antworten, dann bin ich beim Hockey. Mein älterer Sohn besucht die Hockeyschule und ich habe festgestellt, dass es eines der Hobbys ist zu dem vor allem die Väter ihre Kinder begleiten. Im Gegensatz zum Schwimmen, wo ich vor allem Mütter angetroffen habe. Mein Mann und ich wechseln uns ab. Ich bin jetzt also ganz nebenbei eine «Hockey-Mom» geworden. Als solche stehe ich an der Bande und helfe denen, die kaum über die Bande kommen ihre Wasserflasche zu erreichen. Ausserdem bin ich moralische Unterstützung und beobachte das Training, nicht um anschliessend eine Analyse zu machen, sondern weil mein Sohn irre stolz ist, wenn er ein Tor geschossen hat, den Blick zu mir richtet und jubelt und ich dann dezent winke. Ausserdem finde ich es spannend.

 

Als typische «Hockey-Mom» würde ich mich dennoch nicht bezeichnen. Es kann vorkommen, dass wir aus Versehen den Stock im Auto liegen lassen und zurück zum Parkplatz müssen. Ich habe auch das Klebeband für den Stock nicht griffbereit und ich sehe auch keine Parallelen zu der Frau, die diesen Ausdruck in den 2000 Jahren geprägt hatte. Sarah Palin, die Gouverneurin aus Alaska, hatte sich selbst im Laufe des Präsidentschaftswahlkampfes als solche bezeichnet und auch gleich ausgeführt, dass sich eine solche nur durch den Lippenstift von einem Pitbull unterscheide.

 

Wir stehen also am Samstag beizeiten auf um Thermowäsche anzuziehen und in die Eishalle zu fahren. Unser Sohn geht gerne hin. Es macht ihm Spass, auch wenn er noch nicht wirklich eine Ahnung davon hat wie Eishockey sein kann. Ich als Mutter sehe ausgeschlagene Zähne und angebrochene Wirbel auf seinem weiteren Weg und es graut mir schon jetzt davor. Zum Glück liest man immer mal wieder von Spielern, die ihre Kariere ohne diese Verletzungen erfolgreich beendeten. Und wer weiss schon wie lange er diesen Sport betreiben wird.

 

Momentan ist es einfach toll ins Training zu gehen. Nicht nur mein Sohn geniesst es, auch ich. Beim Zusehen lerne ich viel über das Eislaufen und auch über mich. Man würde es kaum denken. Gestern zum Beispiel habe ich beobachtet, wie mein Sohn zielstrebig mit seinem Puck durch die anderen Kinder fuhr ohne auszuweichen. Es gab keinen Zusammenstoss aber ich nahm mir vor ihm zu raten doch auch den anderen einmal den Vortritt zu lassen. Ich habe es nicht getan, denn das wäre meine Art das Problem von Leuten auf der Fahrbahn zu lösen. Ich würde stehen bleiben und anderen den Vortritt lassen. Ich würde ausweichen. Das ist ein Verhalten, das in diesem Sport aber nicht gefragt ist. Im Eishockey muss man sich durchsetzen können und einen Lauf durchziehen. Mal ehrlich eigentlich täte das auch in anderen Bereichen des Lebens zwischendurch ganz gut. So kommt man auf tiefe Gedanken, während die Kinder übers Eis kurven, hinfallen und strahlend wieder aufstehen.

 

Eigentlich sollte ich vielleicht mitkurven. Ich könnte viel lernen, nicht nur was das Technische betrifft. Wer weiss wie viel Zeit ich noch an der Bande verbringen werde. Vielleicht reicht unserem Junior eine Saison, vielleicht wird er weiterspielen. Es wird so oder so eine gute Erfahrung sein. Er hat bereits gelernt, dass es Spass machen kann etwas Neues auszuprobieren. Er hat etwas gefunden, auf das er sich jede Woche freut und von dem er stolz unserem Besuch erzählt. Er hat die Erfahrung gemacht, dass es Dinge gibt, die einfacher aussehen als sie sind und, dass man sie dennoch durch Übung erlernen kann. Er weiss jetzt auch, dass nicht jeder Tag gleich ist und ein Purzelbaum auf dem Eis nicht an jedem Tag gleich gut gelingt. Er hat gelernt, dass es manchmal passieren kann, dass man umfällt oder mit jemandem zusammenstösst und, dass das kein Drama ist.

 

Um solche Sachen zu lernen muss man nicht Hockey spielen. Man kann irgendeinen Sport betreiben oder ein Instrument lernen. Jetzt gerade finden wir und vor allem unser Sohn die Erfahrung «Eishockey» einfach super. Er geht mit Freude hin und ich sehe ihm gerne zu.

 

Mein Sohn ich wünsche dir blaue Flecken, vielleicht eine blutende Nase, Kameraden, Freunde und Feinde, Tränen der Freude und Tränen der Enttäuschung, Siege und Niederlagen. Die groben Verletzungen können wir von mir aus aber gerne weglassen. Was kann es Schöneres geben, als wenn man etwas gefunden hat, das einem so viel bedeutet, dass man mit ganzem Herzen und Kräfteinsatz dabei ist.

 

Eigentlich wünsche ich uns allen, dass wir etwas finden, für das unser Herz und unsere Seele brennt. Und wenn ich noch mehr Zeit im Eisstadion verbringe und mehr Durchsetzungswillen in mein Leben bringe, meine Kinder öfter zu Spielen und Training fahre und mit voller Aufmerksamkeit dem Spielverlauf folge, wenn ich dereinst infiziert werden sollte vom Hockeyvirus und dem Schiri gerne die Pfeife wegnehmen würde, ja dann werde ich vielleicht doch noch zu einem Lippenstift tragenden Pitbull mutieren.