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Trau dich, du Elch

Kannten sie sie auch? Die Mutproben in der Kindheit? «Das getraust du dich eh nicht!» Das war jeweils genau die Herausforderung, die es brauchte um etwas ganz Dummes zu tun. Mir graut jetzt schon vor dem Moment in welchem die Jungs solchen Blödsinn machen. Den Elektrozaun anfassen gehört da ja noch zu den harmloseren Sachen.

 

Wir haben ein Buch von Nicholas Oldland, mit einem sympathischen Elch als Hauptfigur. Der Elch hat so viel Angst in seinem Leben, dass er nichts tut und alles verpasst. Bis er unfreiwillig in ein Abenteuer gestürzt wird und merkt, dass es sich manchmal lohnt etwas zu wagen. Bis zum Schluss wird er mir dann fast zu wagemutig. Aber Klippenspringen ist halt nicht jedermanns Sache.

 

Gefahren lauern überall und jetzt, wo wir uns nach der Isolation langsam wieder an einen normalen Alltag herantasten, ist doch alles irgendwie gefährlich. Einkaufen war lange sehr gefährlich. Nach dem ersten Einkauf in der Quarantäne war ich total erschöpft. Ich fuhr mit dem Auto in eine andere Welt. Verlassene Strassen und Dörfer und dann der Parcours im Laden. All die Leute, die aufhörten zu atmen, wenn man vorbeigehen musste. Niemand sprach und aus den Lautsprechern kamen statt Werbung lauter Sicherheitshinweise. Als ich wieder zu Hause in meiner sicheren Oase war, war ich total erledigt. Die Anspannung war wohl riesig. Mit jedem Einkauf wurde das etwas leichter.

 

Jetzt kommt der nächste Schritt. Die Kinder gehen wieder in die Schule. Und ich auch. Als Mütter sehen wir doch überall Gefahren. Der Schulbus als Hort der Viren. Die Schüler, die mich anhusten könnten. Die Lehrer, die sich untereinander anstecken könnten. Die Liste potenzieller Gefahren ist lang.

 

Was machte eigentlich den Reiz dieser Mutproben aus? «Klettere doch mal über das Sicherheitsgeländer des Siloturmes und geh von dort auf das Dach der Remiese! Das traust du dich ja eh nicht!» Saugefährlich! Oberdoof es zu probieren. Und doch…macht man es. Es braucht wohl viele Schutzengel, damit man erwachsen werden kann. Unbezahlbar ist doch aber das Gefühl, wenn man die Probe bestanden hat. Wenn man sich seinen Ängsten gestellt hat und es, wenn auch oft mit mehr Glück als Verstand, geschafft hat. Wenn man es sich und dem anderen bewiesen hat.

 

So geht es doch mit sehr vielen Dingen in unserem Leben. Manchmal sind sie klein, manchmal gross. Anfangs hat man Angst vor dem grossen Unbekannten aber wenn es geschafft ist, ist das Gefühl unglaublich gut. Darum sage ich jetzt: «Schickt doch eure Kinder in die Schule. Ihr traut euch eh nicht!»