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Fleischeslust

Manchmal kommt es mir so vor, als wäre meine Kindheit in einem anderen Jahrhundert gewesen. Eigentlich ist es ja sogar ein anderes Jahrtausend und dabei bloss gut 30 Jahre her. Wenn ich zum Beispiel an unseren Dorfladen denke, der direkt neben der Milchannahmestelle war, kommen mir automatisch Menschen in Petticoats in den Sinn, auch wenn das natürlich in meiner Kindheit längst nicht mehr angesagt war.

 

Der Dorfladen der Familie Koch war in etwa so gross, wie unsere Wohnküche, so, dass sich heute wohl etwa 3 oder 4 Kunden gleichzeitig darin befinden dürften. An den Wänden und im Raum standen Regale, die bis an die Decke mit Produckten gefüllt waren. Es gab allerlei Konserven, Waschmittel, Mäusefallen und frisches Gemüse, Obst, sowie Beeren aus der Region im oberen Bereich. Drei Treppenstufen weiter unten befanden sich in einer kleinen Gefriertruhe Fischstäbchen und ähnliches. Es hatte auf Griffhöhe der Kinder Bottiche mit Süssigkeiten und irgendwie hatte dort sogar eine Fleischtheke Platz. So sieht der Laden in meiner Erinnerung aus und vielleicht hat es gar nicht so ausgesehen. An einige Begebenheiten in dem Laden kann ich mich aber recht gut erinnern.

 

Zum Beispiel diese hier:

Ich war mit meiner Mama einkaufen und Frau Koch war offenbar sehr beschäftigt. Sie brauchte Briefmarken, konnte aber nicht selber zur Post, da eben zu viel los war. So fragte sie mich, ob ich für sie zur Post gehen würde um ihr die Marken zu besorgen. Ich muss damals etwa 6 Jahre alt gewesen sein. Ich wollte und ich durfte den Auftrag annehmen. Frau Koch gab mir 5 Franken und bat mich ihr 5 A-Post Marken zu besorgen. Mit dem Fünfliber in der Hand verliess ich das Geschäft, ging über den Platz überquerte die damals weniger befahrene Dorfstrasse und ging zur Post. Dort kaufte ich die Marken und kam mit ihnen und dem Wechselgeld zurück in den Laden. Stolz überreichte ich die Marken und das Geld. Frau Koch lächelte und fragte mich, was ich denn gerne zur Belohnung haben möchte. Etwas Schokolade oder Gummizeug vielleicht? Nein, lieber nicht. Ein Eis? Nein auch lieber nicht. Na was hättest du denn gerne? «Es Bitzli vo dem Schinke da.» Frau Koch lachte und schnitt mir zwei Scheiben Modelschinken ab. Sie packte sie sogar in so ein rosa Papier ein. Wenn es überhaupt möglich war, dann war ich in diesem Moment noch viel stolzer als vorher. Ich hatte Schinken bekommen. Zwei Scheiben, ganz für mich alleine und sogar so richtig verpackt, wie echt.

 

An meinem jetzigen Wohnort könnten solche Geschichten vielleicht auch heute noch geschehen. In vielen anderen Gegenden wären sie aber wohl fast undenkbar. Unteranderem, weil es dort gar keine Poststelle mehr gibt. Oder die Dorfstrasse zu befahren ist. Oder…Wie sich die Zeiten doch ändern können. Jetzt bin ich fast etwas sentimental geworden. Und irgendwie habe ich Lust bekommen auf «a Jausen». Dazu gäbe es auch eine Schinkengeschichte zu erzählen, die ich aber viel später erlebt habe und heute nicht auftischen möchte.