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Glucken

Jedes Jahr im Spätsommer hat bei uns noch mindestens ein Huhn die Idee, dass es brüten könnte. Meistens lassen wir sie auch. Die Brutanläufe sind nicht immer von Erfolg gekrönt und unter den Herbstküken hatten wir bisher nur Hennen. So oder so haben wir dabei nichts zu verlieren.

 

Vor einiger Zeit hatten wir gleich zwei Glucken, die wir dann gemeinsam im Aufzuchtstall separiert hatten. Sie setzten sich dann gleich nebeneinander und brüteten ihre Eier gemeinsam. Die Brut war nicht sehr erfolgreich. Am Schluss hatten sie ein einziges Küken. So hatten wir für einen Moment eine sehr ungewohnte Szene im Hühnerhof: Zwei Mütter mit einem Küken. Sie kümmerten sich beide rührend um ihre Tochter.

 

Heuer waren es wieder zwei Hühner, die brüten wollten. Sie zeigten diesen Wunsch aber nicht zeitgleich. So haben wir erst die eine Glucke separiert und eine Woche später die zweite Glucke in den anderen Junghennenstall einlogiert. Wenn man sie nämlich nicht zeitgleich umsiedelt kann es zu wüsten Auseinandersetzungen kommen. Beide Glucken haben je zwei Küken ausgebrütet. Vor gut einer Woche haben wir die beiden dann in ein gemeinsames Gehege überführt. Die Küken waren genug schnell und die Hühner hatten genügend Platz um einander aus dem Weg zu gehen. Also wagten wir den Versuch. Glücklicherweise klappte alle reibungslos.

 

Die beiden Glucken haben sich in ihrer Familien-WG gut eingelebt. Jede hat ihre Ecke im Hühnerstall und ihren Bereich auf dem Hof. Wenn man ihnen etwas zusieht kommt man in Versuchung soziale Studien zu betreiben. Die beiden Mütter, die «Flumi» und «Hübli» heissen, haben einen recht anderen Umgang mit ihrem Muttersein. Ob das am Alter der Küken liegt oder an der individuellen Erziehungstechnik, respektive der anderen Mutter-Kind-Bindung, das sei dahingestellt. Flumis Küken folgen der Mama auf Schritt und Tritt und beobachten ständig was sie so tut und ob man das wohl nachahmen könnte. Hüblis Küken sind sehr selbstständig. Sie schlüpfen durch den Maschenzaun und erkunden die Gegend. Sie picken in der Himbeerhecke, scharren unter der Terrasse, streifen durchs hohe Gras, erkunden den Boden unter dem Apfelbaum und die Gegend um den Kompost. Hübli bleibt während all dem im Hühnerhof und wirft ab und an einen Blick hinaus. Die Jungen sind gut trainiert und vorsichtig. Ist ihnen etwas nicht ganz geheuer so schlüpfen sie schnell durch den Zaun zurück zur Mama nur um eine Minute später wieder draussen zu sein. Bis jetzt hat weder die Katze noch der Sperber eines von ihnen erwischt. Ich hoffe das bleibt so.

 

Derweil beobachte ich die beiden und überlege mir, ob auch ich vielleicht etwas Gluckenhaft mit meinen beiden Küken, äh nein Kindern, bin. Und ob ich eher eine Flumi-Glucke oder eine Hübli-Glucke bin. Wie auch immer. Es ist interessant die beiden zu beobachten. Nur, als Hübli ihren Küken beibrachte, wie man erfolgreich eine Blindschleiche fängt und frisst, machte ich mir auch etwas andere Gedanken zu ihrer Erziehungsmethode. Hätte die Blindschleiche zum Zeitpunkt meines Eintreffens den Kopf noch gehabt, so hätte ich sie ihnen wohl weggenommen. Eines muss man Hübli lassen: Ihre Kinder werden sich in dieser Welt durchschlagen können. Aber ich glaube auch die Küken von Flumi werden wunderbar zurechtkommen.