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Völkerwanderung

Die Spatzen hüpfen auf dem Balkongeländer herum und zetern wie wild. Da kommt die Kohlmeise. Die Spatzen verschwinden und die Kohlmeise geniesst das Alleinsein an der Speckschwarte. Momentan sind viele Vögel bei uns zu Gast. Distelfinken, Buchfinken, Grünfinken, Blaumeisen, Kohlmeisen, Spatzen, Amseln. Die Haubenmeisen und Tannenmeisen haben sich noch nicht gezeigt. Sie werden mit dem Wintereinbruch kommen. Dafür werden dann einige unserer Gäste von jetzt ultimativ abreisen.

 

Wir wohnen auf 910 Metern über Meer. Als ich vor 11 Jahren hierher zog war ich erstaunt, dass es keine Spatzen gab. Aus meiner Kindheit kannte ich diese frechen braunen Vögelchen in grossen Gruppen. Hier entdeckte ich keinen einzigen. Vor etwa fünf Jahren änderte sich das. Wir hatten die ersten Spatzen. Sie fühlten sich hier wohl und blieben. Im letzten Jahr bemerkten wir den Turmfalken. Die Turmfalken-Frau war neu in der Gegend. Auch ihr gefiel es hier und sie nahm unseren schnell zusammengezimmerten Brutkasten gerne an. Heuer kamen Elstern hinzu. Vor zwei Jahren beobachtete ich sie nur unten im Dorf. Letztes Jahr dann am Fuss unseres Hügels und jetzt wohnen sie also auch bei uns.

 

Die Vögel erobern sich neue Gebiete. Ob es am Klima liegt oder am Populationsdruck oder einfach an der Reiselust der Tiere weiss ich nicht. Eine ähnliche Wanderung ist mir auch unter den Lehrern aufgefallen. Die Lehrerschaft in der Region scheint mir immer bunter zu werden. Längst bin ich als Zürcherin keine Exotin mehr. Gewisse Klassen im Oberemmental könnten locker als Immersionsklassen zu hundert Prozent Englisch geführt werden. Die Ostschweizer sind auch auf dem Vormarsch. Die ausbildungstechnischen Hintergründe der Lehrpersonen sind immer diverser und ich geniesse dieses Bad in neuen Einflüssen und Eindrücken.

 

Das Emmental scheint ein Ort zu sein an dem sich viele Wesen heimisch fühlen können. Die Blutauffrischung tut den Menschen hier ganz bestimmt gut. Wie das bei den Tieren aussieht, kann ich nicht beurteilen. Wir geniessen die Vielfalt, ausser vielleicht die Elstern, die bei dem diebischen Überfall auf unsere Wachteleier mindestens profitiert haben. Die Elstern hätten wir nicht unbedingt gebraucht. Dafür sind sie schön und klug und vielleicht profitiert die Gegend hier ja irgendwie auch von ihrer Anwesenheit.