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Auf Messers Schneide

Die gegenwärtigen Umstände sind schwierig für alle von uns. Ich habe mir aber selbst versprochen heuer etwas weniger schwere Kost zu servieren und möchte deshalb lieber über etwas anderes schreiben.

 

Diese Woche haben wir unsere Feuerschale wieder in Betrieb genommen. Ein Feuer, eine Wurst, ein Stück Brot oder ein paar Marshmallows heben die Stimmung ungemein. Viel mehr braucht es gar nicht für einen unbeschwerten Nachmittag, ausser vielleicht noch etwas Werkzeug. Einen Stock oder eine Teleskopgabel, Streichhölzer und Holz und natürlich ein Sackmesser.

 

Beim Einschneiden der Würste ist den Jungs der Schriftzug auf dem Sackmesser aufgefallen. Es hat meinen Namen eingraviert. Dieses Messer ist mein Lieblingssackmesser. Vier Jahre vor seinem Tod hat mein Grossvater uns zu seinem Achtzigsten ein graviertes Sackmesser geschenkt. Jedem einzelnen von seinen vierzehn Enkelkindern liess er ein Exemplar gravieren. Eine wundervolle Geste, auch wenn man Messer eigentlich nicht verschenken soll. In diesem Fall ist es ja gut gegangen.

 

Meine Kinder haben so aber bemerkt, dass wir mehrere Sackmesser haben. «Mami, wie viele Sackmesser haben wir eigentlich?», fragte unser älterer Sohn. Ich wusste es nicht. Wieder im Haus haben wir angefangen die Sackmesser zusammenzutragen. Wir durchsuchten Schubladen, Jackentaschen und Rucksäcke. So brachten wir in relativ kurzer Zeit elf Taschenmesser zusammen. Messersets in diversen Formen und Farben. Fasziniert betrachteten wir die verschiedenen Ausstattungen der Messer. Normalerweise hat man ja einfach nur eines oder zwei dabei. Sie hier einmal nebeneinander zu sehen und ihre Ausstattungen zu vergleichen war also schon interessant. Wie viele Messer sind dabei, hat es einen Korkenzieher oder einen Schraubenzieher? Hat es einen Kugelschreiber oder eine Nagelfeile? Wie steht es mit Zange, Schere und Büchsenöffner?

 

Bei der Betrachtung der Messer ging mir durch den Kopf, dass das wohl eine sehr typisch schweizerische Angelegenheit ist. Ich habe alleine drei dieser Messer in meinem Schreibtisch gefunden. Wer sonst hat Taschenmesser im Büro? Das muss eine Schweizer Eigenheit sein!

 

Und wie viele Sackmesser Geschichten es zu erzählen gäbe! Zum Beispiel damals in Finnland, als ich mit meiner Gastfamilie zu einer öffentlichen Brätlistelle ging und dort auf eine andere Finnische Familie traf. Der Sohn der Familie zückte stolz sein Schweizer Taschenmesser und mühte sich dann umständlich und gefährlich mit einer spitzen, metallischen Grillgabel ab um die Klinge aus ihrer Versenkung zu holen. Ich habe mich ihnen dann vorgestellt und dem Jungen gezeigt, wie man das mit dem Fingernagel hinbekam. Und wie man das Messer dann auch wieder sicher versorgen konnte. Ein geniales Gefühl. Ich konnte dem Jungen helfen, einfach weil ich halt mit Sackmessern aufgewachsen war. Natürlich war das auch bei mir ein Lernprozess. Wahrscheinlich hat jede Schweizerin und jeder Schweizer irgendwo eine Narbe am Finger, die sie oder er sich durch ein Taschenmesser zugezogen hat. Mit diesen Geschichten verschone ich euch aber.

 

Bei diesem Gedanken kam in mir die Frage auf, ob die Jungs jetzt wohl genug alt wären für ein eigenes Taschenmesser. Eigentlich, sind sie im Umgang damit ja schon recht sicher. Andererseits fürchte ich mich etwas davor ihre Narbengeschichten live mitzuerleben. Wie alt war ich wohl bei meinem ersten Messer? Es ist das schwarze mit nur einer Klinge. Wie lange habe ich es wohl schon? Wie dem auch sei. Es fehlen uns noch zwei, die wir auf die schnelle nicht fanden. Das Sackmesser mit dem Logo vom Schweizer Bauern und mein zweitliebstes Sackmesser, dasjenige, welches ich am Knabenschiessen gewonnen hatte. Ich glaube ich muss noch im Gartentisch nachschauen oder den roten Rucksack genauer untersuchen. Irgendwo sind sie sicher und dann haben wir unsere Sammlung wieder komplett.