
Worte sind meine Welt. Und Sprachen das Wasser in dem ich mit Vergnügen plantsche. Schon immer war ich davon fasziniert, dass meine Eltern Sprachen konnten, die ich nicht verstand. Ich versuchte durch zufälliges Aneinanderreihen von Vokalen Italienische Wörter zu bilden. «Mama heisst das etwas?» Wie war ich stolz, wenn ich es schaffte.
Sprachen sind so vielseitig. Auch in Sprachen, die ich mittlerweile beherrsche oder es glaube, entdecke ich täglich neue Wörter. Nach Mandarin sei Englisch die Sprache mit dem zweitgrössten Wortschatz, hat der Zahnarzt kürzlich meinem Sohn erklärt. Er führte das dann anhand des Wortes Ziel genauer aus, für das es im Englischen verschiedene Ausdrücke gibt, je nach dem, ob es sich um eine Zielscheibe oder ein Tor, ein Lebensziel oder eine Absicht handelt. Sofort vielen mir die verschiedenen Ausdrücke für Gruppenansammlungen von Tieren ein. Dann geriet ich ins Grübeln. Natürlich hat Englisch viele Wörter. Aber warum haben sie denn so viele Wörter für all die Tiergruppen. Irgendjemand hat die doch erfunden. Irgendwann muss ein englischer Entdecker oder eine Entdeckerin durch Afrika gereist sein und dann beschlossen haben, dass ein Löwenrudel nicht gleich bezeichnet werden kann, wie ein Wolfsrudel. Es brauchte einen neuen Begriff. Diese Tiere waren doch viel stolzer also «a pride» und nicht einfach «a pack». Welchen Begriff hätte wohl ein Walliser oder Bündner erschaffen? Irgendwann habe ich gelernt, dass die Inuit in ihrer Sprache so viele verschiedene Ausdrücke für Schnee und verschiedene Arten von Schneefall haben, wie keine andere Sprache. Macht Sinn. Wir haben auch verschiedene Ausdrücke für die verschiedenen Arten von Regen und hohe Luftfeuchtigkeit. Es muss also mit der Lebenswelt zutun haben. Die Welt schafft also auch Worte, ein faszinierendes Wechselspiel.
Eine Sprache bildet die Grundlage für alle weiteren. Nein, es ist nicht Latein. Ich meine damit die jeweilige Muttersprache. Durch sie bekommen wir unsere erste Gelegenheit uns auszudrücken und die Welt in unserer Umgebung zu beschreiben. Mit ihr erschliessen und erschaffen wir uns eine Realität. Stolz können wir sein auf diesen Meilenstein der Entwicklung. Mit Stolz sollte sie gesprochen werden dürfen. Weitere Sprachen können auf diesem Fundament aufbauen. Zugegeben, manchmal steht sie einem auch im Weg aber alleine das Wissen, dass es ein Wort für etwas gibt, kann helfen ein neues dafür kennenzulernen. Ich bin keine Sprachwissenschaftlerin aber im Bereich Spracherwerb habe ich schon so einige Erfahrungen gemacht. Spannend war es diese Entwicklung bei meinen Söhnen zu beobachten. Sprechen gelernt haben beide. Züridütsch mit einem Tuch Emmentaler. Verstanden haben sie beides und konnten für die Grosseltern jeweils übersetzen. Mit dem Eintritt in die Schule verschwand das Züridütsch langsam aus ihrer Alltagssprache. Nicht tragisch. Auch ich wechsle fliessend zwischen den beiden Dialekten. Mittlerweile fällt es mir leichter mein Züridütsch auch in Bernerkreisen zu sprechen. Die Zeit der Überanpassung ist vorbei. Langsam kommt mein Ich wieder zum Vorschein und mit ihm ein gewisser Stolz auf meine Herkunft. Meine Identität ist nicht mehr an die Sprache gebunden und vielleicht fühle ich mich jetzt einfach sicher genug um Zürideutsch zu sprechen. Vielleicht falle ich ohnehin auf, da kommt es auf die Sprache nicht an. Vielleicht bin ich jetzt mehr ich.
Betrachtet man die Vielfalt unserer Dialekte und der Akzente, spricht wohl so wie so jeder und jede von uns eine Variante des ansässigen Dialektes. Das Schweizerdeutsch gibt es nicht. Wenn einem eine Person sympathisch ist, wird der Dialekt mehr eine Farbe der Person, die zu ihrem Gesamtbild dazu gehört, nicht das Alleinstellungsmerkmal. Sie machen unsere Welt bunt. Sprache beeinflusst unsere Wahrnehmung und die Wahrnehmung beeinflusst die Sprache. Ich wünsche meinen Kindern eine reiche Sprache mit verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten. Ihre Welt soll bunt sein, die Wahrnehmung geschärft und die Nuancen der verschiedenen Dialekte und Sprachen ihre Spielwiese.