
Kürzlich habe ich eine neue Welt entdeckt. Den Aargau. Hei ist der gross. Ich wusste zwar, dass es ein grosser Kanton ist und man irgendwie nie an ihm vorbeikommt, wenn man von A nach B will. Sogar auf der Strecke Luzern – Zürich haben sie einen Abschnitt Autobahn, wenn auch ohne Ausfahrt, dafür gut gekennzeichnet, dass man jetzt über Aargauer Boden fährt. Früher, da wusste ich, der Aargau ist nah und um manche Ortschaften zu erreichen muss man schnell da durch. Die Ortschaften im Grenzgebiet zu Zürich sind ja noch knapp ok, aber zu tief sollte man nicht hinein. Das ist Niemandsland, da wohnen weiss Gott war für Menschen. Arbeitssame Waffennarren, die wüst reden und schlecht Autofahren, oder so. Nach Bremgarten an den Markt, geht ja noch. Die Schlösser Hallwyl, Lenzburg, Habsburg oder Wildegg anschauen, darf man auch. Was die Römer dort wollten und warum sie ausgerechnet in diesem Gebiet so eindrucksvoll bauten ist mir ein Rätsel. Im Aargau in einem Geschäft einkaufen gehen ist mit Vorsicht zu tun und auch nur, wenn wirklich kein Geschäft in einem anderen Kanton die gleichen Waren hat. So kommt man ganz gut durchs Leben. Aber wehe, du musst wirklich in den Aargau.
Ich kam nicht darum herum. Ich musste mich diesem blinden Fleck auf meiner persönlichen Landkarte stellen. Ohne Navi. Die Schilder auf der Autobahn waren einwandfrei. Ich kam pünktlich an mein Ziel. Genussweg stand auf einem braunen Wegweiser. Ich wusste nicht, dass man den Aargau geniessen kann. Ich folgte dem Pfeil und entdeckte eine Landschaft, die einfach wunderschön war. Änet der Aare war eine Landschaft mit Hügeln und Bäumen, Feldern und Häusern. Die Häuser schön, die Felder exakt, die Linden in vollem Blust mit einem Hauch von Ferien über allem. Unglaublich! Warum hat mir das niemand gesagt? Für mich war der Aargau eher flach und bestand aus Inseln. Vielleicht würde es sich lohnen dieses unbekannte Gebiet zu Fuss oder mit dem Velo zu erkunden um die einzelnen Inseln zu verbinden und das Zwischenland hinzuzufügen. An diesem Tag war dazu nur begrenz Zeit. Ich wollte zum Albis. Ohne Navi.
Zurück auf der Autobahn war die richtige Fahrtrichtung schnell gefunden. Je näher ich Zürich kam, desto bewusster wurde mir das unvermeidbare. Der Gubrist würde auf meinem Weg liegen. Unausweichlich. Oder doch? Ich könnte ja vorher von der Autobahn abgehen. Das würde ich schon schaffen. So weit von meiner alten Heimat war ich nicht entfernt. Das wäre doch gelacht. Also runter von der Autobahn und halleluja, zielsicher fand ich die Heimat des Möbelhauses mit der blauen Aufschrift. Auch ohne Navi.
Aber oje. Wie oft waren wir diese Strecke doch als Kind mit den Eltern gefahren. Jedes Mal, wenn unsere Zimmer umgestellt wurden, die Wohnung umorganisiert wurde fanden wir dort, im Aargau, bestimmt was wir suchten. An diesem Tag suchte ich einen Wegweiser nach Urdorf…Den habe ich nicht entdeckt. Nicht verzagen, der innere Kompass sagt geh Richtung Dietikon, Zürcher Boden, dort wird es schon einen entsprechenden Hinweis geben. Die Fahrtrichtung stimmte. Unterwegs erkannte ich verschiedene Wegpunkte aus meiner Kindheit wieder. Ich fühlte mich sicher. Bis Dietikon. Kaum war ich auf vermeintlich sicherem Boden musste ich mir eingestehen, dass ich nichts aber auch wirklich gar nichts wieder erkannte. Irgendwann war ich in Weiningen und sah den Wegweiser in die Fahrweid. Mein Herz machte einen Sprung. Wie gerne wäre ich mal wieder an den Ort zurückgekehrt, an dem ich meine Lehrerkarriere startete. Aber halt. Das ist nicht die Richtung, die ich heute brauchte. Im Vorbeifahren winkte ich innerlich all den Leuten aus dieser Zeit kurz zu und drehte wieder um. Zurück nach Dietikon. Spannende Areale hat es in diesem Grenzgebiet, wo man mal im Aargau, mal in Zürich ist. Ich werde das schon packen, dachte ich. Schliesslich komme ich aus dem Kanton Zürich. Es gibt nichts, was mich erschüttern könnte. Aber wem machte ich etwas vor. Ich bin ein Landei und grössere Siedlungen erhöhen meinen Herzschlag schon beim Gedanken daran.
Ich erinnerte mich an unsere Familienferien in Frankreich. Industrie, zwischen unheimlich und verlockend, Wildnis, Siedlungen, schöne Häuser neben anderen. Mittendrin ich mit meinem Auto, die Kreisel zum Wenden nutz und irgendwann in einem Quartier doch ihr Handy zückt und eine Karte konsultiert.
Eine Strasse aus dem Schlamassel wurde gefunden. Nicht direkt nach Urdorf aber wenigsten raus aus dem Kuchen. Die Strasse gefunden, folgte ich ihr und war unglaublich dankbar für diese Wegweiser in den Kreiseln «Transit». «Tout direction» heissen sie in Frankreich. Das lernte ich als Kind. Das war immer gut. Immer, wenn du irgendwo raus willst, egal wohin, Tout direction. Draussen wird es schon wieder brauchbare Wegweiser haben. In meinem Fall stand da «Bremgarten». Also zurück in den Kanton Aargau, raus aus Zürich, rein in ein Gebiet, das mir fremd und doch vertraut ist. In Bremgarten waren wir auch als Kind. Da bekam ich meine rosa Turnschuhe her und den Ballon, der dann auf dem Islisberg mit einem lauten Knall im Auto kaputt ging. Von Bremgarten werde ich ans Ziel kommen. Auch ohne Navi. Ich fuhr weiter und wählte im Zweifelsfalle Transit. Irgendwann entdeckte ich Oberwil-Lieli. Perfekt. Genau was ich brauchte. Nicht den Skandal über das Freikaufen von der Aufnahme von Flüchtlingen. Nein. Von Lieli führt eine Verbindung in mein Zielgebiet. Beim Wegweiser Birmensdorf hatte ich beinahe Tränen in den Augen. Noch nie habe ich mich derart gefreut diese elf Buchstaben zu sehen.
Was bleibt von dieser Reise ist eine Neugierde, den Kanton Aargau doch noch zu erkunden. Die Gewissheit, dass im Zweifelsfall Aargauer Boden ein Landei, wie mich sicherer zum Zielführt als die Vorstadt von Zürich. Ein Navi hat offensichtlich doch seine Berechtigung. Und ich bin der Person, die diese Transitwegweiser erfunden hat zu tiefstem Dank verpflichtet. Und vielleicht wäre anstehen am Gubrist doch nicht die schlechtere Wahl gewesen. Nur erlebt hätte ich definitiv weniger. Meine Welt ist um ein gutes Stück Landkarte erweitert worden.