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Fenstergate

Endlich sind meine Fenster wieder sauber! Ich weiss nicht mehr wann ich sie zuletzt geputzt habe. In der Regel putzte ich sie, wenn der Fliegendreck, Blütenstaub, die Wassertropfen oder Fingerabdrücke mich nerven. Das kann aber eine Weile gehen. Zudem muss dann ja auch das Wetter stimmen. Der Blütenstaub sollte vorbei sein, sonst ist die ganze Aktion ja umsonst. Es darf nicht zu sonnig sein, sonst trocknet das Putzwasser zu schnell und es gibt wüst Schlieren. Es darf auch nicht regnen, sonst lassen sich die Dachfenster nicht öffnen. Es sollte nicht Winter sein, sonst ist es auf dem Balkon so kalt, wenn ich von aussen putze und ich sollte auch nicht gerade Wäsche vor dem Fenster haben, sonst komme ich da ja eben nicht so gut ran…Die verbleibenden Tage im Jahr sind dann überschaubar. An einigen von ihnen bin ich bestimmt noch ausser Haus und an anderen habe ich wohl so viel anderes zu tun, dass Fensterputzen schlicht nicht auf dem Programm ist. Dann wiederum gibt es ja jene Tage, an denen ich die Fenster gar nicht beachte und so bleiben vielleicht noch ein oder zwei Tage an denen ich mich bewusst gegen das Putzen entscheide, weil einfach anderes spassiger ist. Kurz meine Fenster wurden lange nicht geputzt.

 

Ich kann es deshalb meinem Sohn auch nicht verübeln, dass er einmal in der Schule sagte, dass seine Mutter nie Fenster putze. Etwas ungeschickt war es, dass das just an einem Tag geschah, an dem ich im Schulhaus war. Noch ungeschickter war, dass ich just in diesem Moment an seinem Klassenzimmerfenster vorbeiging und die Lehrerin beschloss kurzerhand das Fenster zu öffnen und mich vor der versammelten Klasse meines Sohnes laut auf dem Pausenplatz ansprach. Ich bin sicher es waren an diesem schönen Sommertag noch weitere Fenster anderer Klassenzimmer zum Hof geöffnet. Sie rief mich also und sagte ganz direkt: «Wir sprechen gerade über all die Arbeit, die von Leuten erledigt wird, die wir gar nicht wahrnehmen. Ich habe dann das Beispiel Fensterputzen genannt und dein Sohn hat gesagt, dass du das Fenster in seinem Zimmer noch nie geputzt hast. Ich habe ihm widersprochen aber jetzt können wir dich ja direkt fragen. Ist es wahr, dass du das Fenster in seinem Zimmer noch nie geputzt hast?» Einen kurzen Moment schoss mir das Blut ins Gesicht. Wie fest man das gesehen hat, weiss ich nicht. Das war ein Drahtseilakt. Mich nicht blossstellen, meinen Sohn nicht blossstellen und das alles vor dem gefühlt versammelten Schulhaus. In Sekunden versuchte ich mich zu erinnern, wann ich dieses spezifische Fenster zum letzten Mal geputzt hatte. Es ist gut möglich, dass das war bevor mein Sohn dieses Zimmer bezogen hat…Ich antwortete sehr diplomatisch, dass ich sein Fenster bestimmt schon geputzt hätte, dass es sich aber um ein Dachfenster handelte und ich das wirklich nur sehr selten putze und es deshalb wirklich schon recht lange her sein könne. Was danach geschah weiss ich nicht. Weder ich noch mein Sohn haben das Thema je wieder erwähnt. Ich danke der Lehrperson, dass sie das Thema der unsichtbaren Arbeit aufgegriffen hat und die Kinder darauf aufmerksam machte, dass vieles um sie herum gemacht wird, ohne dass sie sich dessen bewusst sind. Diese Arbeit darf wertgeschätzt und beachtet werden. Nur mich dafür als Beispiel zu nehmen war nicht ideal.

 

 

Heute betrachte ich meine Fenster und weiss. Ich bemerke es, dass sie geputzt wurden. Wer weiss wie lange diese Klarheit noch zu meinem Ausblick gehört.